Bühnentechnische Rundschau 2/2011, Seite 44ff

“Licht ist das Urmedium”
Die Kuratorin Bettina Pelz über die Bedeutung des Lichts für unsere Wahrnehmung im Gepräch mit Herbert Cybulska

„Wer Licht versteht, sieht und versteht mehr von der Welt.“ Fasziniert von der grundlegenden Relevanz des Mediums Licht für Weltanschauung und -verständnis entwickelt und realisiert Bettina Pelz seit zehn Jahren Ausstellungskonzepte, die sich dadurch auszeichnen, dass Licht immer ein zentrales Thema ist. In einer inter-disziplinären Denk- und Arbeitsweise lotet sie das Thema Licht in vielfältigen Ausstellungsereignissen aus, die vor allem im öffentlichen Raum verortet sind. Darüber, über unsere individuelle Wahrnehmung und viele verwandte Fragen sprach sie mit dem Lichtgestalter Herbert Cybulska.

HC: Wenn wir von Farben und Licht sprechen, sprechen wir über Wahrnehmung, über den Vorgang des Sehens. Seit einigen Jahren wissen wir, dass unser Auge nur zu einem kleinen Teil zum Sehvorgang beiträgt. Noch weniger ist es eine Kamera, die ein Bild auf der Netzhaut projiziert, das vom Hirn des Menschen „gescannt“ wird. Vielmehr „triggert“ das Auge die Bibliothek an, die wir in den ersten 18 Monaten unseres Lebens fundamental anlegen, um sie dann ein Leben lang zu erweitern. Ist dieser Vorgang in den ersten 18 Lebensmonaten gestört, können wir nie sehen, weil wir die Signale der Augen nicht interpretieren können. Wir sehen also wesentlich das, was wir zu sehen gelernt haben. Was heißt das für die Kunst?

BP: Sehen lernen ist ein schönes Stichwort, d.h. in der Auswertung visueller Impulse zu immer neuen Ergebnissen zu kommen, ist aus künstlerischer Perspektive ein sehr interessantes Thema. Licht selbst ist unsichtbar und erst im Zusammenspiel mit reflektierenden Materialien wird es für das Auge sichtbar, d.h. Licht sehen bedeutet immer in Relationen zu sehen und zu denken. Zeit und Raum wird im Licht vermessen, Farbeindrücke modulieren sich entsprechend der Lichtverhältnisse. Aber auch der Zusammenhang von Wahrnehmung, Erinnerung und Bewusstsein ist ein Spannungsfeld, mit dem sich Künstler/innen in vielfältiger Weise auseinandersetzen. Auch die Doppelnatur des Lichts als Teilchen und als Welle, als der materiellen und der immateriellen Sphäre zugehörig, macht es zu einem essentiellen Material künstlerischer Praxis.

HC: Aber Licht wirkt auf uns vor allem sehr schnell, sehr direkt, sehr emotional. Es geht direkt ins Herz. Wir fühlen, wir spüren gleich etwas.

BP: Auch ein gutes Stichwort. Ich betrachte Emotionen als komprimierte, als verschlüsselte Erfahrungen. Wir sammeln Erfahrungen, sortieren sie und legen sie auch im Archiv der Emotionen ab. Im Erleben können diese angestoßen werden und fließen in die aktuelle Erfahrung als Erinnerung ein. Oft ist die Emotion schneller als die bewusste Erinnerung und formatiert die Wahrnehmung bevor das reflexive Moment einsetzen kann. In der Kunstbetrachtung spielt Emotion oft eine große Rolle, wo ein Bild oder Werk einen Betrachter „anspricht“ – vielleicht auch ohne das er genau versteht warum, entsteht ein Moment, der vielleicht dazu verführt, sich Zeit zu nehmen, zu betrachten und sich zu vertiefen. Und dann haben Sehen und Verstehen eine Chance andere als die vertrauten Wege einzuschlagen.

HC: Das heißt, die Emotion, die vom Auge angeregt, wird, findet im Kopf des Betrachters statt – oder in der Seele; wie man´s nimmt. Wir brauchen keine komplette Geschichte, um etwas zu erleben, es reicht ein Impuls.

BP: Ja, es reicht ein Impuls und der Formatierungsprozess beginnt. So kommen wir zu sehr verschiedenen Seherlebnissen. Diese sind so individuell, dass ich es schwierig finde, wenn z.B. in Kunst oder Design von der Wirkung einer Farbe gesprochen wird, als wenn sie in einem Kollektiv oder einer Kultur uniform wäre.

HC: Wir reagieren ja auch nicht nur auf grobe Impulse, sehr feine Nuancen können auch spannend sein. Eine der feinsten Nuancen produziert Suzanne Song die in New York lebt und arbeitet. Sie kreiert mit Graphitstaub neue Räume. In einem weißen Raum trägt sie in einem Verlauf bis zu einer scharfen, geraden Grenzlinie diesen Staub sehr fein auf, so dass der nicht bearbeitete Teil als eigener, weißer Raum entsteht. Die Bearbeitung ist so fein, dass sie gar nicht als Eingriff wirkt, sie wirkt alltäglich, wie das allmähliche Vergrauen eines Raumes durch Hausstaub.

Ich habe eine ihrer Arbeiten in einer Ausstellung über Licht und Schatten gesehen. Es war eine sehr sanfte Arbeit, wie zauberhaft entstand ein Raum mit einer ganz besonderen Aura.

BP: Ein sehr schönes Beispiel, Licht formt Raum und Raum formt Licht.

HC: Kommen wir zum übergreifenden Thema: Was ist für Dich das Spezifische an Lichtkunst? Es gibt ja seit den letzten zehn Jahren einen Lichtkunst-Hype. Früher war der Begriff Licht und Kunst reduziert auf Filmlicht, man meinte Kunstlicht und Neonlicht. Heute ist Licht populär, Leute wie James Turrell sind populär, es gibt landauf landab Festivals, die sich Lichtfestivals oder Lichtkunstfestivals nennen, für mich oft unscharfe Definitionen. Was ist also für Dich Lichtkunst?

BP: Trotz der vielen Ausstellungen und Festivals, die Licht-affin agieren, gibt es dazu kaum eine Reflexion und/oder Theorienentwicklung. Wenn Licht das Urmedium des Sehens ist, dann gibt es keine Kunst, die ohne eine Auseinandersetzung mit Licht auskommt, daher gibt es keine visuelle Kunst, die nicht auch Lichtkunst wäre. So kommt es unter dem Kommunikationsdach „Lichtkunst“ zu einer großen Beliebigkeit, die gänzlich ohne Qualitätsparameter auskommt.

HC: Du arbeitest als Kuratorin. Welche Arten von Veranstaltungen, Ausstellungen, kuratierst Du?

Ich arbeite gern im öffentlichen Raum, weil er mich als Inbegriff des Demokratischen interessiert. In der Auswahl der Standorte bevorzuge ich Orte, die abseits der vertrauten Wege und Stadtansichten liegen. Ich arbeite gern temporär, weil das ein großes Maß an Experiment und Risiko zulässt. In der Regel gibt es eine intensive Auseinandersetzung mit einem Ort und seinen Besonderheiten oder Themenstellungen, bevor ich Künstler/innen und Designer/innen, Architekt/inn/en oder Wissenschaftler/innen, Techniker/innen und Handwerker/innen einlade, ort- und zeitspezifisch zu arbeiten. So entstehen Installationen und Interventionen, die für eine Weile die Ansichten von Lebenszusammenhängen verändern. Und immer gibt es Kunst-vermittelnde Angebote – für die, die mehr sehen und wissen wollen. Vielleicht geht es immer um das Verhältnis von Schein und Sein?

HC: Am Anfang war das Licht?

BP: Ein Baum morgens sieht anders aus als mittags oder abends. Wenn ich verstehe, dass alle visuellen Eindrücke von Licht abhängen, ist klar, dass Licht das erste Medium ist. Wenn ich Licht verstehe, kann ich auch verstehen, was alle anderen, z.B. die digitalen, Medien mit ihrem Ausgangsmaterial machen.

HC: Dann bist du einen Schritt weiter als László Moholy-Nagy, dessen Ausstellung ich gerade in Berlin gesehen habe. Für ihn war das Licht der Schlüssel zum bildnerischen Ausdruck. Die Fotografie half ihm die Realität besser darstellen zu können als es Malerei kann – die ordnete er anders, neu, freier ein. Die Auseinandersetzung mit Licht, die Fotoexperimente und vor allem die Fotogramme, waren ein erster Schritt in Richtung Lichtkunst.

BP: In der Bühnenarbeit sind Oskar Schlemmer und László Moholy-Nagy der Notwendigkeit gefolgt, den Einsatz von Licht zu organisieren und haben dabei das Verhältnis von Licht und Schatten in seiner Raum- und Farb-gebenden Qualität neu formuliert. Der Licht-Raum-Modulator von Moholy-Nagy von 1930 ist bis heute eines der Schlüsselwerke im installativen und performativen Einsatz von Licht.

Interessant ist doch, dass gerade jetzt die am Bauhaus entstandenen Werke und die in den 60er Jahren unter anderen von Marian Zazeela, Heinz Mack und Otto Piene entwickelten Positionen international Maß´an Aufmerksamkeit und Wertschätzung erfahren. Und nicht nur in der Kunst, sondern auch in Design, Architektur und Stadtentwicklung gibt es ein großes Interesse an einem neuen Umgang mit Licht. In den 1990er Jahren entstanden die ersten Fachverbände für professionelle Lichtdesigner, 2002 wurde ein internationales Netzwerk von Städten gegründet, die sich im Besonderen mit den Lichtverhältnissen im urbanen Raum und seiner zukunftsweisenden Entwicklung auseinandersetzen.

HC: ELDA, die europäische Lichtdesign Assoziation, heute PLDA, wurde 1996 / 1997 gegründet um den Beruf des Lichtdesigners in der Architektur zu propagieren. Die sie sind Lichtgestalter in ganz Europa miteinander bekannt geworden.

BP: Dass diese Organisationen gegründet wurden, zeigte, dass man mit Licht anders umging.

HC: Ein anderes Phänomen war auch wichtig, die Lichtausstellungen. Beispielsweise hat Dan Flavin vor zwanzig Jahren in Frankfurt eine große Ausstellung gemacht, er hat mit Neon- und UV-Licht gearbeitet. Ich habe auf die hochdosierten UV-Räume Flavins sehr körperlich reagiert; es war eine ganz neue Kunst für uns, weil er mit Licht direkt gearbeitet hat. In Köln wurden auch seine früheren Arbeiten in einer Werkschau gezeigt, die sich auch mit dem Tageslicht beschäftigen. Zeitgleich kamen Arbeiten von James Turrell in die Deutschen Museen, viele besuchten seine Installationen im Sprengel-Museum in Hannover und im MMK in Frankfurt. Er wurde heiß diskutiert, er brachte ein meditatives Element ein, ein betrachtendes.

BP: Für mich ist es so, dass die kontinuierliche Auseinandersetzung mit Licht dazu führt, dass ich die immer komplexer werdende Welt besser verstehen kann. Wenn ich mich mit Lichtverhältnissen befasse, stelle ich fest, dass sie sich in jeder Minute ändern. Ich lerne beim Licht etwas über Rhythmus, über Zeit, über Distanz, über Medialität. Ich lerne, dass etwas scheinbar Bestimmtes immer über etwas anderes vermittelt ist und dass ich es nur als Relatives begreifen kann. Zu meinen großen Ausstellungsprojekten in Deutschland, Holland und Polen kommen tausende von Menschen und staunen. Da sind wir am Anfang der Philosophie und sind da, wo ich persönlich herkomme. Über die Beschäftigung mit Licht erhalten wir die Möglichkeit, die Dinge ganz anders zu sehen. Diese Kompetenz, eine echte Schlüsselkompetenz für das Leben, bietet mir Licht.

HC: Das heißt, Du gehst zum Beginn unserer westlichen Philosophie, zum Höhlengleichnis zurück.

BP: Gern, das weißt du ja, aber vielleicht sind es mehr die inter-disziplinären Optionen, die das Licht anbietet. Es gibt fachspezifische Zugänge in der Biologie, der Chemie und der Medizin, die ganz anders sind als die in Kunst, Design und Architektur und noch anders als die das Thema von der technischen Seite betrachten … und für mich sind sie inzwischen alle interessant.

HC: Wir sprachen vorher davon, dass wir alle unsere Bibliotheken haben und unsere visuellen Erfahrungen abspeichern, ohne sie entschlüsseln zu können, mit komprimierten Ordnern sozusagen. Trotzdem werden die Leute über Ausstellungen u.ä. miteinander verbunden. Ist es nicht ein Widerspruch?

BP: Es geht ja nicht darum, dass alle das Gleiche erleben. Die Differenz ist es, über die es sich lohnt ins Gespräch zu kommen, oder?

HC: Im Theater sagt man immer, Kunst kommt von Können. Fühlst Du Dich da angesprochen?

BP: Wenn Können Reflexion, Wissen, Entschlüsselung und die eigenständige Form von Weiterentwicklung dessen beinhaltet, was ich weiß, hat es etwas mit Können zu tun.

HC: Abschließend möchte ich noch auf das Thema Farbe zu sprechen kommen. Neulich, als ich zu einem Vortrag über Farbe eingeladen wurde, habe ich mit Goethes Farbkreis angefangen. Dabei fand ich, dass er in vielen Punkten nicht Recht hatte, dass die Farblehre mehr moralische als physikalische Kategorien hat. Ich habe das Goethehaus in Frankfurt besucht und deutlich spüren können, wie er auf Harmonien einen großen Wert gelegt hat, von der Farbgestaltung seiner Zimmer bis zu den Bildern, seinen Aquarellen, und dem Farbkreis. Man kann ihn gut in seiner alten Welt verstehen.

Mir fällt jetzt die Begegnung mit einem Kind ein, das in der Natur aufwächst, wie im Mittelalter, mitten in Vietnam, mitten auf dem Lande, im Herzen der Natur, das aber schreiendes Rosa, grelles Hellblau über alles liebt und sich nicht in Naturfarben kleidet wie die Ökofreaks hier – was sagt das denn über einen „natürlichen“ Farbgeschmack?

BP: Mit dem Thema ist es schwierig in dem Zusammenhang. Meine Sonnenauf- und untergänge beginnen bei Blau und Grün und sie haben aber auch Magenta und Gelb … Vielleicht bin ich damit typisch deutsch? In anderen Kulturen werden viele Farben oder Farbverläufe wahrgenommen, aus meiner Sicht steht das wieder in unmittelbarer Abhängigkeit von den Lichtverhältnissen. In Afrika oder Indien haben sich andere Farbkulturen entwickelt als hier. Diese Unterschiede zu erkunden, ist interessant. Ich bin durch Zufall zu dem Thema Licht gekommen, in der Beschäftigung damit kann ich alles, was ich in Ausbildung und beruflicher Praxis an Kenntnissen und Kompetenzen gesammelt habe, einbringen. Ich habe Philosophie studiert, ich habe als Pädagogin gearbeitet, ich bin viel gereist und habe mich sehr intensiv mit Musik befasst. Jetzt arbeite ich seit 15 Jahren als Kuratorin in Kunst, Design und Architektur. Licht bietet mir viele Möglichkeiten, mit all diesen Themen weiter umzugehen und die visuelle Dimension grundlegend zu verstehen.

HC: Viele Lichtfestivals sind spannend, manche vor allem populär. Es gibt zunehmend „Events“, wo Licht schlicht Werbeträger ist, wie bei den großen Events in Lyon oder Berlin. Lichtfestivals als Marketingmaßnahme für die Tourismusförderung – besonders in Berlin, wo vor allem eine große Stadtverbuntung betrieben wird. Alles dreht sich, alles bewegt sich, die Welt wird abends kunterbunt. Böse Zungen sprechen von colour-pollution.

Welche kommenden Ereignisse ragen für Dich positiv heraus?

BP: Du sprichst damit die Frage der Qualität an. Nicht immer sind in die Entwicklung und Realisierung von Licht-affinen Projekten professionelle Lichtdesigner/innen, Künstler/innen oder Kurator/inn/en involviert. Ich bin sehr zuversichtlich, was das Publikum angeht, das es unterscheiden kann, wo es etwas zu entdecken gibt und wo visuelle Klischées bedient werden. Bei der Presse bin ich mir da manchmal nicht so sicher. Da reicht es schon, wenn das Brandenburger Tor bunt ist, um es international zu kommunizieren. Da wünsche ich mir mehr Fachverstand und Sehvermögen. Mein nächstes Projekt findet während der Bundesgartenschau 2011 auf dem Weltkulturerbe Festung Ehrenbreitstein statt. Im Mai zeigen wir für zehn Tage Installationen und Interventionen, die unter dem Titel „Von blauen Blumen“ sich mit der romantischen Idee der Naturbetrachtung zum besseren Selbst-und Weltverständnis auseinandersetzen. Du bist herzlich eingeladen.